Ausstellung in Hamburg
Glitter, Flitter, Girlhood: Warum uns Glitzer fasziniert

Glitzer fasziniert Menschen seit Jahrtausenden. Eine Ausstellung in Hamburg beschäftigt sich nun mit dem Phänomen.
Quelle: Christoph Soeder
Glitzer übt seit Jahrtausenden eine Faszination auf Menschen auf - und hat durch Harry Styles, Barbie, Taylor Swift und Co. in den vergangenen Jahren eine ganz neue Beliebtheit erlangt. Eine Ausstellung in Hamburg geht dem Phänomen nun auf den Grund. Warum lieben wir Glitter so sehr? Eine Kulturgeschichte.

Das Wort „Glitzer“ weckt Erinnerungen: An den schimmernden Lipgloss, den man sich mit 12 im Jugendherbergszimmer in verschwörerischer Mädchenrunde auf die Lippen schmierte. An ein Lieblingskleidungsstück. An ein Festival, einen Film, ein Musical. An Karneval, Weihnachten oder Silvester.
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Eine Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe widmet sich nun dem Phänomen Glitzer. Die Idee habe von vornherein Begeisterung ausgelöst, berichten die Kuratorinnen und Kunsthistorikerinnen Julia Meer und Nina Lucia Groß. Kein Wunder, meint Groß: Die meisten Menschen würden mit Glitzer vertraut sein – besonders aus Momenten, die positiv besetzt seien: Glitzer begegnet man beim Feiern oder beim Basteln.
Ausstellung in Hamburg: Woher kommt die Faszination für Glitter?
Die Faszination des Glitzers lässt sich wissenschaftlich begründen: Eine These lautet, dass Menschen sich von glitzernden Oberflächen angezogen fühlen, weil diese uns an frisches Wasser erinnern – nach dem wir instinktiv auf der Suche sind.
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„Genauso wie das Material selbst flirren auch die Bedeutungen von Glitzer“, sagt Julia Meer. Während viele damit Effekthascherei assoziieren würden, stecke noch weit mehr hinter dem Phänomen. Wohl nicht zufällig glitzern in der Musical-Verfilmung „Wicked“ die Kleider der ambivalenten Hexe Glinda, die zwischen Oberflächlichkeit und Güte schwingt.
Gerade das Rätselhafte mache einen Teil des Reizes von Glitzer aus, so Meer. Seit einer Reportage in der „New York Times“ im Jahr 2018 ranken sich Mythen um das Material: Der Journalistin Caity Weaver will ihr Gesprächspartner in einer Glitzerfabrik nicht verraten, welche Industrie der größte Abnehmer des Produkts ist. Eine Verschwörung? Das Internet rätselt bis heute.

In der Performance-Kunst spielt Glitzer eine wichtige Rolle. Hier: Video Still aus "Style Over Substance" (2021) von The Huxleys, das in der "Glitzer"-Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen sein wird.
Quelle: © The Huxleys
Die Geschichte des Glitzers reicht weit zurück: Schon in Höhlenbildern und antiken Zivilisationen sollen Bröckchen des Minerals Glimmer für reflektierende Effekte in der Farbe gesorgt haben. Im 18. Jahrhundert entwickelt der elsässische Chemiker und Juwelier Georg Friedrich Strass Glassteinchen, die wie Diamanten schimmern – damals noch „Simili“ (vom lateinischen Wort „similis“ für „ähnlich“) genannt. Funkelnder Schmuck ist nun zum ersten Mal nicht mehr nur für jene erschwinglich, die sich Edelsteine leisten können. Im späten 19. Jahrhundert fallen in der Glasproduktion kleine Reste ab: der sogenannte Flitter, erzählt Julia Meer. 1895 wird das Unternehmen Swarovski gegründet, das sich 1998 die Rechte am Begriff „Strass“ sichert.
Die Geschichte des Glitzers
In den 20er-Jahren löst der Fund des Grabes von Tutanchamun eine Pailletten-Manie aus, beschreibt Meer. Zunächst bestehen Pailletten noch aus Metall und sind somit teuer, bald können sie aber auch aus Plastik produziert werden. Die glitzernden Plättchen finden Einzug in die Mode der Zwanziger.
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Offiziell erfunden wird der Glitzer dann 1934: In New Jersey entwickelt Henry Ruschmann eine Maschine, mit der Plastik in winzige Stückchen zerbrochen werden kann. Von jetzt an glitzert es in den USA im großen Stil. Ein Zufall, dass das mit der Großen Depression zusammenfällt? Wohl kaum. Wer sich Luxus nicht mehr leisten kann, erfreut sich am kleinen Schimmer im Alltag. Noch kurz vorher, im Jahr 1932, träumt Doris, die prekär lebende Protagonistin von Irmgard Keuns Roman „Das kunstseidene Mädchen“ davon, ein „Glanz“ zu sein.
Doch Glitzer ist nicht bloß Gegenpol in Krisenzeiten, sondern offenbar vielmehr eine anthropologische Konstante. „Irgendeinen Grund für Glitzer gibt es immer“, sagt Julia Meer.
Mit Glam Rock und Disco wird Glitzer ab den Siebzigern omnipräsent. Für David Bowie wird das Make-up mit dem strahlenden Blitz über dem Auge zum Markenzeichen seines Alter Egos Ziggy Stardust. Die popkulturellen Glitzer-Momente folgen dann Schlag auf Schlag, wie Meer und Groß feststellen: Der glitzernde Handschuh gehört bei den Auftritten von Michael Jackson dazu. Im Hip-Hop wird „Bling-Bling“ zum Statussymbol. Girl und Boy Bands werden durch Glitzer nahbar für ihr Teenie-Publikum. Von den 80ern bis in die frühen 2000er glitzert es überall: Lipgloss, Nagellack, Pailletten. Auf samtigen Trainingsanzügen funkelt „Juicy“ auf dem Po.
Feminismus und queere Community: Glitzer als Protestmittel
Für die queere Community wird Glitzer dann auch zum Protestmittel: Auf den Christopher Street Days der Welt glittert es, wo man nur hinschaut. Feministische und queere Gruppen eignen sich das Material an, das ihnen von der Gesellschaft ohnehin zugeschrieben wird, sagt Groß. Als bewusst subversiver Akt findet Glitzer so seinen Weg auf Protestschilder bei Demos, schafft Bewusstsein für Diskriminierungen.

Glitzer als Protestmittel: Ein Foto der Künstlerin Gisela Vola (Untitled, from the series “Marea Verde”, 2018), das in der "Glitzer"-Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen sein wird.
Quelle: © Gisela Vola
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Bei Drag Shows glitzern Outfits und Make-up von Anfang an. Mit „RuPaul‘s Drag Race“ schafft die Subkultur den Sprung in den US-amerikanischen Mainstream. Heute nutzt Popstar Chappell Roan, die in ihren Liedern über lesbische Welterfahrungen singt, das glitzrige Make-up der Drag Queens.
Auf Festivals von Coachella bis Lollapalooza wird es in den 2010ern zum Trend, sich Glitter-Streifen auf die Wangenknochen zu schmieren. Postkarten mit Sprüchen wie „Es glitzert. Ich will es!“ oder „Meine Probleme löse ich mit Glitzer“ sind aus Krimskrams-Läden nicht mehr wegzudenken. 2017 präsentiert die Schnapsmarke Berliner Luft eine Glitter-Edition. Und schafft im selben Jahr nach eigenen Angaben einen Allzeitrekord mit 3,5 Millionen verkauften Flaschen.
Achtung, umweltschädlich! Verbot und Comeback des Glitzers
Doch dann bekommt der Glitzer ein Image-Problem: Die schimmernden kleinen Partikel entpuppen sich als Mikroplastik. Herkömmlicher Glitzer ist daher nicht biologisch abbaubar, gelangt ins Grundwasser, verschmutzt die Umwelt. Der harmlose Partybegleiter, ein Umweltsünder? Im Oktober 2023 wird der Verkauf von Mikroplastik in der EU verboten – und damit auch der meiste Glitzer. Stöbert man durch Regale in deutschen Drogeriemärkten, merkt man davon wenig.
Denn inzwischen hat man Lösungen gefunden, Glitzer kann nun aus Zellulose umweltfreundlich hergestellt werden. Eine Studie der britischen Anglia Ruskin University zeigte 2020 jedoch: Auch biologisch abbaubarer Glitzer verursacht Schäden in Flüssen und Seen, killt Wasserlinsen, Algen und Plankton, stört Ökosysteme. Ganz freigesprochen ist der Glitzer also noch nicht.
Auch das Sparkle-Emoji, eigentlich inzwischen im Internet als Symbol für Sarkasmus etabliert, erlebt im vergangenen Jahr eine Umdeutung: Firmen beginnen, es zu nutzen, um KI-generierte Inhalte zu kennzeichnen.
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Barbie und Harry Styles: Von Männlichkeit und Weiblichkeit
2023 erscheint Greta Gerwigs „Barbie“-Film. Für die Premiere schmeißt man sich in Schale, gern in Pink, häufig mit Glitzer. Bei den Konzerten von Harry Styles tanzen Frauen in funkelnden Kleidern und mit Glitter im Gesicht. Styles selbst steht in glitzernden Outfit und Make-up auf der Bühne und wird, im Kleid auf dem Cover der Vogue, zur Frontfigur einer neuen Männlichkeit. Eine häufige Kritik: Viele schwarze und queere Männer haben vor ihm dasselbe getan – und dafür statt Lob Hass geerntet.
Die 2020er sind dann vielleicht das Jahrzehnt einer neuen Hyperfemininität. Frauen auf der ganzen Welt holen sich das zurück, von dem ihnen lange eingeredet wurde, dass es weniger wert ist, weil es Männern nicht gefällt (oder nicht gefallen sollte). „Girlhood“, vielleicht übersetzbar mit „Mädchenschaft“, wird zum Trend, die Discokugel zu einem ihrer Symbole.
Taylor Swifts Eras Tour: „There‘s glitter on the floor after the party“
Ganz vorne in dieser neuen Glitzer-Bewegung: Popstar Taylor Swift. Bei ihrer Eras Tour glitzern die Kostüme mit den Texten um die Wette. „I can still make the whole place shimmer“, ich kann immer noch den ganzen Raum zum Schimmern bringen, heißt es in „Bejeweled“. Von ihrer „glittering prime“, dem glitzernden Höhepunkt im Leben, singt die Sängerin in „I Can Do It With A Broken Heart“.
Bei ihrem Abschlusskonzert im Dezember sang Swift als Überraschungs-Song eine Zeile aus dem Lied „New Year‘s Day“: „There‘s glitter on the floor after the party“. Der Glitzer liegt noch da, wenn die Party schon längst vorüber ist.
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Es ist ein gängiger Witz, dass man Glitzer nicht loswird. „Being gay is like glitter: it doesn‘t go away“, soll Lady Gaga mal gesagt haben. Oft liest man den Spruch auf Demo-Schildern. Vielleicht macht auch das einen Teil der Faszination aus: Glitzer ist hartnäckig. Er bleibt, egal wie dystopisch die Umstände sein mögen, und ruft nach schöneren Zeiten.
Die Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg läuft vom 28. Februar bis 26. Oktober 2025.